Mindfulness for Austria

Dass die Erfahrung eines Krieges das Gefühlsleben von Menschen nachhaltig verändern kann, be­obach­te ich (Ingrid Otepka) als Deutschlehrerin in der Arbeit mit Geflüchteten seit Jahrzehnten. Da­durch kön­nen sich im Unterricht herausfordernde Situationen ergeben, die ich an ein paar Beispielen schildern möchte:

Äußeres Ereignis als Auslöser für eine Traumaerinnerung

Es gibt vieles, was eine Traumaerinnerung sowie die damals erlebten Gefühle aktivieren kann. Eine Mög­lich­keit davon ist ein äußeres Ereignis, wie dies im folgenden Beispiel der Fall ist: Vor dem Un­ter­richts­ort fanden Bauarbeiten statt. Daher gab es im Kursraum plötzlich eine kurze Erschütterung. Dies weckte bei manchen Teilnehmerinnen Erinnerungen an nicht in­te­grier­te traumatische Erfahrungen. Sie begannen zu zittern, hatten einen Schweißausbruch, spürten große Angst oder Traurigkeit. Der Un­ter­richt wurde unterbrochen.

Mir wurde zunehmend bewusst, dass ein unterstützendes Angebot für Geflüchtete abseits des Deutsch­kur­ses gebraucht wird, und so begann ich mich vermehrt mit dem Thema Psyche & Trauma auf praktischer und wissenschaftlicher Ebene auseinanderzusetzen. Ich informierte mich über bestehende psychosoziale Einrichtungen, nahm an Aus‐ und Wei­ter­bil­dun­gen teil, las mich in die Fachliteratur ein und suchte das Gespräch mit führenden Expert*innen der Traumaforschung. Schließlich fand ich zu neuen Möglichkeiten für Menschen mit großen Belastungen, die sich durch eine achtsame Haltung ergeben können. 2017 besuchte ich in Salzburg eine Weiterbildung mit Jon Kabat‐Zinn, einer der führenden Wissenschaftler im Bereich Achtsamkeit. Dort erfuhr ich von einem Projekt einer Organisation aus dem Nahen Osten. Da geht es um die Entwicklung von kostenlosen trau­ma­sen­si­ti­ven Online‐Achtsamkeitsübungen auf Arabisch speziell für Ge­flüch­te­te mit dem Ziel der Ge­fühls­re­gu­lie­rung sowie Stressabbau.

Ende 2017 nahm ich mit dieser Organisation Kontakt auf, und es entstand eine mehrjährige Zu­sam­men­ar­beit auf ehrenamtlicher Basis. Aus dieser Zusammenarbeit ent­wickel­te sich Mindfulness for Austria, das an der Sprachschule Sphinx Lingua in Wien angesiedelt war.

Im Rahmen von Mindfulness for Austria möchten wir kostenlose traumasensitive Online‐Acht­sam­keits­übungen in den Fluchtsprachen zur Verfügung stellen und die Nutzung dieser Übungen in bereits bestehenden Or­ga­ni­sa­tio­nen im psychosozialen Bereich sowie in Deutschkursen in Österreich fördern. Achtsamkeit bildet das zentrale Thema von Mindfulness for Austria, und so übersiedelte dieses Projekt 2021 von der Sprachschule Sphinx Lingua zur Organisation MARA ○ Achtsam Leben Erfahren. Mindfulness for Austria war Anlass für die Vereinsgründung. An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei Sphinx Lingua sowie bei der Organisation aus dem Nahen Osten für die Ermöglichung des Pro­jekt­auf­baus von Mindfulness for Austria bedanken.