Das langjährige Erforschen von grundlegenden Fragen hat mich, Ingrid Otepka, während meiner beruflichen Praxis zu folgender Annahme geführt:
Ein traumasensitives, niederschwelliges, digitales, ortsungebundenes und kostenfreies Achtsamkeitsangebot speziell in den Fluchtsprachen fördert bei Menschen mit Kriegs‐, Gewalt‐ oder Fluchterfahrung die Entwicklung einer Perspektive für die Zukunft.
Es waren Fragen, wie
Was braucht Österreich, damit ein gemeinsames Miteinander gelingen kann?
Was brauchen Menschen aus Kriegsgebieten, um für sich eine Perspektive für die Zukunft finden zu können?
Wie können Menschen einen gesunden Umgang mit Extremerfahrungen finden?
Wie kann ein Angebot für knapp 80 Millionen Menschen, die im Jahr 2019 auf der Flucht waren, aussehen?
Traumasensitiv, weil ...
Die aktuelle Gesundheit von Geflüchteten hat Einfluss auf die Gestaltung eines ergänzenden psychosozialen Angebotes. Nach dem Ergebnis einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenasse (AOK) Deutschlands im Jahr 2018 haben mehr als drei Viertel aller Geflüchteten aus Syrien, Irak und Afghanistan Gewalt miterlebt und leiden daher oft an Traumafolgen. Eine allgemeine Studie zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten ist mir nicht bekannt. Das Ergebnis der Befragung legt allerdings nahe, dass vermutlich ein großer Teil der Geflüchteten an Trauma leidet. Daher ist ein traumasensitives Angebot erforderlich.
Niederschwellig, weil ...
Nach einer Untersuchung im UNESCO-Weltbildungsbericht Migration, Flucht und Bildung 2019 waren im Jahr 2016 in Deutschland 15% der Asylsuchenden Analphabet*innen. In Österreich konnte ich in den letzten Jahren im Deutschunterricht oft beobachten, dass ein großer Teil der Teilnehmenden lese- und schreibungewohnt ist. Der Bedarf an Alphabetisierungskursen ist in Wien nach wie vor groß. Dies ist durch das Alphabetisierungsangebot der Deutschinstitute ersichtlich. Daraus lässt sich erkennen, dass Geflüchtete oftmals aufgrund von Bildungsbenachteiligung wenig formale Bildung mitbringen. Daher ist ein niederschwelliges Angebot unerlässlich.

Digital, weil ...
Meiner Beobachtung nach haben nahezu alle Fluchtfamilien in Österreich mindestens ein Mobiltelefon. Nach einer Information der Caritas haben Smartphones für Geflüchtete eine höhere Priorität als andere Dinge, da dies meist die einzige Möglichkeit ist, mit Bekannten und Verwandten Kontakt zu halten. Ein ergänzendes digitales psychosoziales Angebot kann somit von nahezu allen Fluchtfamilien in Österreich sowie von Geflüchteten in anderen Ländern per Handy genutzt werden.
Ortsungebunden, weil ...
Nach dem jährlichen UNHCR‐Statistik‐Bericht Global Trends waren im Jahr 2019 knapp 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. In den Aufnahmeländern sind psychosoziale Angebote in unterschiedlicher Art und Weise vorhanden. Um Millionen von Geflüchteten ein ergänzendes psychosoziales Angebot ermöglichen zu können, braucht es Ortsungebundenheit.
Kostenfrei, weil ...
Damit ein ergänzendes psychosoziales Angebot flächendeckend genutzt werden kann, braucht es einen möglichst einfachen, barrierefreien Zugang. Ein Kriterium ist dabei das Geld. Aus diesem Grund bevorzugen wir ein kostenfreies Angebot.
Niederschwellige traumasensitive Achtsamkeitsübungen speziell in den Fluchtsprachen unterstützen Betroffene dabei, einen gesunden Umgang mit Traumafolgen zu finden und zu einer gewissen Ruhe zu kommen. Jede Woche werden kurze Online‐Übungen angeboten, die täglich selbständig erforscht werden. Dies unterstützt die interkulturelle Kommunikation, erleichtert die Orientierung in einem neuen Land und fördert Perspektiven für die Zukunft sowie die Integration in eine neue Gesellschaft.
Achtsamkeitsübungen, weil ...
Viele Menschen definieren ihr Wohlbefinden nach den äußeren Umständen. Manchmal kann es sein, dass die äußeren Umstände nicht beeinflussbar sind. Welchen Umgang wir damit finden, kann ausschlaggebend dafür sein, ob wir mit schwierigen äußeren Umständen leben können oder ob wir daran zerbrechen. Achtsamkeitsübungen helfen dabei, unter anderem einen gesunden Umgang mit nicht veränderbaren schwierigen Situationen zu finden. Dies verringert inneren Stress und fördert ein Gefühl des Wohlbefindens. Die positive Wirkung von Achtsamkeitsübungen auf die Gesundheit wird seit Jahrzehnten in zahlreichen wissenschaftlichen Studien immer wieder bestätigt. Wir orientieren uns an Jon Kabat‐Zinn, einem der führenden Wissenschaftler im Bereich Achtsamkeit und Gründer des Center For Mindfulness an der University of Massachusetts.
Speziell in den Fluchtsprachen, weil ...
Wenn es um inneren Stressabbau oder um einen gesunden Umgang mit intensiven Gefühlen geht, gehen wir davon aus, dass jene Sprache zu bevorzugen ist, bei der es einen direkten Zugang zu den Gefühlen gibt. Nach der Studie Multilinguals‘ perceptions of feeling different when switching languages von Jean‐Marc Dewaele und S. Nakano aus dem Jahr 2012 ist dies in den meisten Fällen die Muttersprache. Aus diesem Grund möchten wir die Achtsamkeitsübungen in den Fluchtsprachen anbieten. Das Angebot der Übungen auf Deutsch sehen wir als sinnvolle Ergänzung.
Mit Mindfulness for Austria möchten wir diese Übungen in den Fluchtsprachen sowie in Deutsch zur Verfügung stellen und die Nutzung dieser Übungen in Organisationen im psychosozialen Bereich sowie in Deutschkursen in Österreich fördern. Zielgruppe sind demnach Geflüchtete in Österreich sowie Leiter*innen und Mitarbeiter*innen von österreichischen Organisationen.